Sieben Beispiele für die Bedeutung von Grenzen in den Nanowissenschaften
In den Nanowissenschaften spielen Grenzen eine wesentliche Rolle. In der Welt der winzig kleinen Strukturen von wenigen Millionstel Millimetern verschmelzen die klassischen Disziplinen. Sieben Beispiele zeigen wie Forschende aus Physik, Chemie, Biologie, Medizin und Materialwissenschaften in interdisziplinären Teams daran arbeiten, die Grenzen des Machbaren auszuloten.
Jenseits des Vorstellbaren
In der Welt der einzelnen Atome, Moleküle und winzigen Strukturen in einer Grössenordnung von 1 bis 100 Nanometern stösst die klassische Physik an ihre Grenzen. Auf atomarer Ebene sind es die Gesetze der Quantenphysik, die verschiedene Phänomene der Nanowelt beschreiben, und uns an den Rand des Vorstellbaren bringen.
Im Gegensatz zur klassischen Physik liefert die Quantentheorie statt eindeutiger Ergebnisse oft nur Wahrscheinlichkeiten. Zudem gibt es Phänomene wie Überlagerung, bei der sich ein Teilchen vor der Messung scheinbar gleichzeitig in mehreren klassischen Zuständen befinden kann, oder Verschränkung, bei der Messresultate an zwei Teilchen voneinander abhängen können. Einstein sprach von «spukhafter Fernwirkung».
Grenzen des «Sichtbaren»
Objekte mit einer Grösse von über 200 Nanometern lassen sich mit einem herkömmlichen Lichtmikroskop abbilden. Kleinere Strukturen wurden erst «sichtbar» mit der Entwicklung der Elektronen- und Rastersondenmikroskopie. Unterschiedliche Arten dieser Hightech-Mikroskope kommen an der Universität Basel zum Einsatz. Mikroskopie-Spezialistinnen und -Spezialisten entwickeln sie hier stetig für spezifische Anwendungen weiter, um die Grenzen des Sichtbaren zu verschieben.
Anhand elektronenmikroskopischer Aufnahmen lässt sich beispielsweise die dreidimensionale Struktur einzelner Proteine herausfinden. Diese räumliche Struktur ist für Funktionalität, Interaktion und Stabilität eines Proteins ausschlaggebend. Auch in den Materialwissenschaften liefern elektronenmikroskopische Analysen wichtige Beiträge, da sie die Kristallstruktur verschiedener Verbindungen sichtbar machen oder auch Fehler im Inneren oder auf der Oberfläche unterschiedlicher Materialien abbilden können.
In anderen Bereichen setzen Forschende Rastersondenmikroskope ein, um einzelne Atome abzubilden. Mit einem besonderen Hochgeschwindigkeits-Rasterkraftmikroskop können sie auch filmen – zum Beispiel wie eine natürliche Nanomaschine arbeitet, die den Transport von Biomolekülen in und aus dem Zellkern reguliert.
Fokus auf Oberflächen
In den Nanowissenschaften spielen Oberflächeneigenschaften eine weit grössere Rolle als in der uns vertrauten Makrowelt: Winzige Strukturen besitzen sehr grosse Oberflächen im Verhältnis zu ihrem Volumen. Da chemische Reaktionen vor allem an Oberflächen ablaufen, sind Nanomaterialien sehr reaktiv und eignen sich daher als Katalysatoren für chemische Umwandlungen. Forschende der Universität Basel untersuchen in diesem Kontext beispielsweise eine neue Kategorie von Verbindungen namens Pyrazinacene, die sowohl in Flüssigkeiten wie auch gebunden auf Oberflächen reversibel Elektronen abgeben oder aufnehmen können. Das macht die Verbindungen interessant für chemische Synthesen und die Elektrochemie.
An den Grenzflächen zwischen verschiedenen Materialien oder Phasen (fest, flüssig oder gasförmig) zeigen Nanomaterialien zudem ganz neue und besondere Eigenschaften. Ein Beispiel sind sogenannte topologische Isolatoren. Während sich diese neuen Materialien im Inneren wie Isolatoren verhalten, wird elektrischer Strom an ihrer Oberfläche verlustfrei geleitet. Forschende der Universität Basel untersuchen derartige Materialien, da sie Neuerungen auf dem Gebiet der Elektronik und der Quanteninformation versprechen.
Am Rande der Messbarkeit
Nanowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stossen auch an die Grenzen des Machbaren, wenn sie in den von ihnen untersuchten Nanostrukturen Messungen vornehmen. Die zwischen einzelnen Molekülen wirkenden Kräfte lassen sich nicht mit Methoden aus der Makrowelt erfassen. Auch magnetische oder elektrische Felder sowie die extrem kleinen elektrischen Ströme in Nanostrukturen erfordern neue, empfindlichere Sensoren.
Oft kommen bei derartigen Untersuchungen Rastersondenmikroskope zum Einsatz, da diese nicht nur abbilden, sondern auch verschiedene chemische und physikalische Parameter erfassen können.
Forschende der Universität Basel haben zum Beispiel die schwächsten Bindungskräfte zwischen einzelnen Atomen analysiert, die es in der Natur gibt. Diese Van-der-Waals-Kräfte spielen in der Natur eine wichtige Rolle und helfen beispielsweise dem Gecko an der Decke zu «kleben».
Um winzige magnetische oder elektrische Felder zu analysieren, nutzen Forschende aus Basel einzelne Elektronen, deren Eigendrehimpuls (Spin) sehr empfindlich auf Änderungen des elektrischen oder magnetischen Feldes reagiert. Es ist heute bereits möglich, die Oberfläche von zweidimensionalen Materialien zu untersuchen und Magnetfelder mit einer Auflösung von Nanometern zu erfassen.
Grenzen bei der Manipulation und Bearbeitung
Neue Materialien mit besonderen Eigenschaften, die es in der Natur nicht gibt, sind ebenfalls ein Forschungszweig in den Nanowissenschaften. Hier loten Forschende die Grenzen des Machbaren aus, wenn sie beispielweise mit zweidimensionalen Materialien arbeiten, die nur eine Atomlage dick sind oder wenn sie Oberflächen mit Strukturen versehen, die nur wenige Nanometer gross sind.
Forschende stellen sogenannte Van-der-Waals-Heteromaterialien her, die aus wenigen atomaren Lagen verschiedener Verbindungen bestehen. Die verschiedenen zweidimensionalen Schichten werden ohne chemische Bindung durch die schwachen Van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten. So kombinieren Forschende beispielswiese die Eigenschaften von Graphen – das aus einer Lage von Kohlenstoffatomen besteht und ein sehr guter elektrischer Leiter ist – mit denen von Bornitrid – das chemisch und thermisch sehr stabil ist.
Die Beschaffenheit einer Oberfläche, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Eigenschaften eines Objekts. Mithilfe der Nanofabrikation lassen sich Oberflächen je nach Bedarf mit ganz unterschiedlichen Strukturen versehen. Neue Methoden beispielsweise in der Lithografie, ermöglichen es, immer kleinere Strukturen in ganz unterschiedlichen Materialien herzustellen.
Analyse mit fast nichts
Mit Unterstützung des SNI haben Forschende am Biozentrum die Grundlagen für das Startup cyroWrite entwickelt, das eine effiziente Aufarbeitung von biologischen Proben für die Kryo-Elektronenmikroskopie bietet. Bereits 2 Nanoliter (etwa 1/25.000 des Volumens eines Wassertropfens) eines Zelllysats reichen aus, um Proteine einzelner Zellen zu untersuchen.
In manchen Fällen stossen Forschende an die Grenze der Verfügbarkeit dessen, was sie erforschen möchten. Daher entwickeln Nanowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Methoden, die mit winzigen Probenmengen auskommen. Ein Beispiel sind Miniatur-Labore: Systeme aus winzigen Kanälen von wenigen Mikro- oder Nanometern Durchmesser auf einem Chip. Darin werden die geringen Probenmengen verarbeitet und analysiert. Vor allem in der Diagnostik bedeuten solche «Lab on a Chip»-Systeme eine vielversprechende Neuerung, um kleinste Proben in kurzer Zeit zuverlässig zu analysieren.
Kalte Grenze
Während sich die Grenzen der Darstellung, Messbar-keit und Bearbeitung durch Fortschritte in Forschung und Technologie immer weiter verschieben lassen, steht die Grenze der tiefsten möglichen Temperatur fest. Dieser «absolute Nullpunkt» liegt bei 0 Kelvin (-273,15° Celsius).
Zahlreiche Untersuchungen in der Nanowelt finden nahe dieser natürlichen Grenze statt, da es bei dieser Temperatur keine störenden thermischen Effekte und keine Brownsche Molekularbewegung gibt. Bei sehr tiefen Temperaturen treten zudem Phänomene wie Supraleitung auf – also die verlustfreie Leitung von Strom. Wenn Temperaturen sich dem absoluten Nullpunkt nähern, können Forschende auch weitere Quanteneffekte untersuchen und zum Verständnis quantenmechanischer Phänomene und zur Entwicklung innovativer Technologien wie Quantenkommunikation und Quantencomputing beitragen.
Forschende der Universität Basel arbeiten daran, bei ihren Experimenten immer näher an die natürliche Grenze des absoluten Nullpunkts herankommen. Mithilfe von Magnetfeldern halten die Basler Physiker zurzeit den Kälte-rekord für den kältesten «Kühlschrank», der eine Temperatur von 0,0002 Kelvin aufweist.