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Schnell zur räumlichen Struktur – Das Nano-Argovia- Projekt A3EDPI sorgt für positives Echo

Seit über 12 Jahren unterstützt das Swiss Nanoscience Institute im Nano-Argovia-Programm angewandte Forschungsprojekte. Firmen in der Nordwestschweiz bekommen dadurch Zugang zu innovativer Forschung im SNI-Netzwerk. Da der Fokus dieser Projekte auf einer für die Firmen nutzbaren Anwendung liegt, führen sie eher selten zu Veröffentlichungen in renommierten Wissenschaftszeitschriften. Anders im Nano-Argovia-Projekt A3EDPI, das von Dr. Tim Grüne vom Paul Scherrer Institut geleitet wird. Er hat zusammen mit seinen Kollegen kürzlich erste Ergebnisse in der Zeitschrift «Angewandte Chemie» publiziert und damit ein enormes Echo ausgelöst. In der Veröffentlichung beschreiben die Wissenschaftler, wie sie die Elektron-Nanokristallographie erfolgreich einsetzen, um die dreidimensionale Struktur von pharmazeutischen Wirkstoffen, die in Pulverform vorliegen, aufzuklären.

Pulver schwierig zu analysieren
Für die effiziente Entwicklung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe und deren Zulassung benötigen Forscher die exakte dreidimensionale Struktur der Substanzen, da die Wirkung einer Verbindung von ihrer räumlichen Anordnung abhängt. Liegen die Wirkstoffe in Form einzelner Kristalle vor, lässt sich die räumliche Struktur mithilfe der Röntgenstrukturanalyse ermitteln. In vielen Fällen stehen den Wissenschaftlern jedoch nur Pulver, also Mischungen aus kristallinen Nanokörnern mit einer Grösse von nur 100 – 500 Nanometern, zur Verfügung. Bisher war es mit hohem zeitlichen und instrumentellen Aufwand verbunden, um deren 3D-Struktur schnell und zuverlässig zu analysieren.

Mit Elektronenstrahlen zur dreidimensionalen Struktur
Im Argovia-Projekt A3EDPI hat nun ein interdisziplinäres Wissenschaftler-Team vom Paul Scherrer Institut (PSI), der Universität Basel und der ETH Zürich sowie den Firmen Dectris AG und Crystallise! AG untersucht, ob sich die Elektron-Nanokristallographie zur Aufklärung der 3D-Struktur eignet.

«Wir setzen die Proben einem hochenergetischen Elektronenstrahl aus», beschreibt Projektleiter Dr. Tim Grüne (PSI) die Methode. «Da die Elektronen Welleneigenschaften besitzen, entsteht je nach Anordnung der Atome ein ganz spezifisches Beugungsbild jedes Moleküls, das präzise Rückschlüsse über die atomare Struktur zulässt.»

Die Wissenschaftler entwickelten zunächst den Prototypen eines Elektronenbeugungsmessgeräts. Sie kombinierten dazu einen EIGER Hybrid Pixel Detektor der Firma Dectris mit einem Transmissionselektronenmikroskop. Als Testsubstanz analysierten sie dann das Erkältungs-Medikament Grippostad©, das eine Mischung aus kristallinen und nichtkristallinen, aktiven und nichtaktiven Komponenten enthält. «Aufgrund der geringen Grösse der Kristalle in diesem Pulver würde die Röntgenanalyse keine befriedigenden Ergebnisse liefern», erklärt Tim Grüne. «Mit Hilfe der Elektronenbeugung konnten wir den aktiven Wirkstoff allerdings eindeutig als Paracetamol identifizieren.»

Auch die Struktur komplexerer und grösserer chemischer Verbindungen lässt sich mit der Elektronenstrahlbeugung erfolgreich aufklären wie die Forscher anhand eines neuen, unbekannten Methylenblau-Derivats zeigten.

Bald breit angewendet
Tim Grüne, der zurzeit als Senior Scientist am PSI arbeitet, ist zuversichtlich, dass die Methode bald breit angewendet werden wird. In einem Interview mit der Fachzeitschrift «Science» sagt er: «Die Pharmafirmen bauen riesige Sammlungen von kristallinen Verbindungen für ihr Medikamentenscreening auf, von denen aber nur etwa ein Viertel bis ein Drittel Kristalle bilden, die mit der Röntgen-Kristallographie analysiert werden können. Unsere Methode kann helfen, diesen Engpass bei der Analyse und Identifikation neuer Wirkstoffkandidaten zu umgehen, da wir auch die ganz kleinen Kristalle von einigen hundert Nanometern analysieren können, von denen bisher keine 3D-Struktur existiert.»

Bei Tim Grüne läuft zurzeit das Telefon heiss, da Wissenschaftszeitschriften wie «Science» und «Nature» mehr über die Methode wissen möchten. So erschien in «Nature» kürzlich ein Artikel «Why didn’t we think to do this earlier? Chemists thrilled by speedy atomic structures» und auch «Science» ist der Meinung, dass die Methode die Entwicklung neuer Medikamente und forensischer Untersuchungen deutlich beschleunigen kann.

Das Nano-Argovia-Projekt A3EDPI wird Ende des Jahres 2018 abgeschlossen. Tim Grüne wird aber weiter die Elektronenstrahlbeugung zur Strukturaufklärung nutzen – wenn auch nicht am PSI. Mit Beginn des neuen Jahres wird er die Leitung der Röntgenstrukturanalyse in der Chemiefakultät an der Universität Wien übernehmen und dort dann hoffentlich diesen erfolgreichen Ansatz, dessen breiter Einsatzbereich durch das Nano-Argovia-Projekt belegt werden konnte, weiterführen.

Originalarbeit:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/anie.201811318

Weitere Information über das Nano-Argovia-Programm des SNI:
https://nanoscience.ch/de/forschung/angewandte-forschung/